Christa Schmieder-Wenzel©

Deichbau

Schutz­man­tel der Hal­lig

Sep­tem­ber 1911: Eu­ge­nio und An­ge­lo, Gio­van­ni und Giu­sep­pe, Pao­lo, Lu­i­gi und Ni­co­lo ver­las­sen ihre nord­ita­lie­ni­sche Hei­mat, um ih­ren Le­bens­un­ter­halt gut 1.500 Ki­lo­me­ter wei­ter nörd­lich auf ei­nem Ei­land mit­ten im Wat­ten­meer zu ver­die­nen. Zwi­schen Schlick und Salz­wie­se wer­den Hun­der­te von Stein­set­zern und Stein­hau­ern ge­braucht, denn das flüch­ti­ge Hal­lig­land soll end­lich ge­si­chert wer­den. Schon wäh­rend der dä­ni­schen Re­gent­schaft hat­te man darüber be­ra­ten wie sinn­voll eine Hal­lig­be­fes­ti­gung wäre, denn der 'Blan­ke Han­s' fraß sich Jahr um Jahr wei­ter vor.

 
Pro und Con­tra prall­ten in der Dis­kus­si­on um den Hal­lig­schutz schon früh un­ver­söhn­lich auf­ein­an­der. Der Pell­wor­mer Pas­tor E.C. Kru­se stellt 1794 in sei­ner Hoo­ger Chro­nik fest: „… ob es rath­sam sei die­se In­sel zu be­dei­chen? An der Mög­lich­keit der Eindei­chung ist wol nicht zu zwei­feln, und eben so we­nig dar­an, daß die In­sel so viel Ge­trai­de tra­gen kön­ne, daß die Kos­ten … da­durch er­sezt würden. Al­lein ob die Un­ter­hal­tung des Deichs in der Fol­ge nicht so kost­bar wer­den würde, daß der Er­trag des Lan­des da­mit in kein Ver­hält­nis käme? … Über­dem würden die je­zi­gen Ein­woh­ner bei der Eindei­chung not­hwen­dig ver­lie­ren, weil sie die Be­schwer­den der­sel­ben tra­gen müßten, ohne die Vort­hei­le da­von ge­nie­ßen zu kön­nen, in­dem sie den Ak­ker­bau nicht ver­ste­hen. Und end­lich, was ge­wön­ne die Re­gie­rung da­durch, daß sie eine Marsch­kom­mu­ne, die ihr mit der Zeit not­hwen­dig läs­tig fal­len müßte, ge­wön­ne, und dafür ei­nen Theil der bes­ten See­leu­te ver­l­öh­re?“

 
Eu­ro­päi­sche Po­li­tik und eine Na­tur­ka­ta­stro­phe tru­gen schon we­nig spä­ter dazu bei, dass sich die Lage auf den Hal­li­gen dra­ma­tisch ver­än­der­te. Die See­leu­te ver­lo­ren ihr Aus­kom­men durch die Han­dels­be­schrän­kun­gen wäh­rend der Na­po­leo­ni­schen Kon­ti­nen­tal­sper­re. Die ver­hee­ren­de 'Hal­lig­flu­t' von 1825 ver­trieb vie­le der Über­le­ben­den für im­mer.
In der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­dert ge­wann die Hal­lig­schutz­fra­ge wie­der an Be­deu­tung. Man hat­te er­kannt, wie wich­tig ein Küsten­schutz ist, der be­reits vor den Fest­lands­dei­chen be­ginnt – ge­ra­de für das schles­wig-hol­stei­ni­sche Hin­ter­land. In sei­nem Ro­man 'Der Hal­lig­pas­tor' greift Wil­helm Lob­si­en die­ses The­ma auf. Sei­ne Prot­ago­nis­ten dis­ku­tie­ren den Küsten­schutz emo­tio­nal. Wäh­rend die Hal­lig­be­woh­ner die Si­che­rung ih­res Be­sit­zes vor schwe­ren Sturm­flu­ten für die kom­men­den Ge­ne­ra­tio­nen se­hen, be­den­ken die Pas­to­ren die Aus­wir­kun­gen auf das See­len­heil ih­rer Hal­lig­schäf­chen. „Sünde und Schan­de“ sieht der Hoo­ger Pas­tor mit den frem­den Ar­bei­tern an­kom­men. „Und vor­bei ist es mit al­lem, was hier Son­der­art ist.“ schleu­dert er dem al­ten Hal­lig­leh­rer ent­ge­gen. Auch den be­däch­ti­ge­ren Pas­tor Pohn­sen be­un­ru­higt die Si­tua­ti­on. Fünf Hal­lig­mäd­chen le­ben in sei­ner Ge­mein­de. Eine von ih­nen, Gie­de Ly­dis­sen, „hat be­reits ihre Hoch­zeit mit ei­nem Man­ne von da hin­ten, von Ost- oder West­preu­ßen, an­ge­mel­det und die bei­den Töch­ter von Fol­kert Ban­di­xen tref­fen sich Tag für Tag mit zwei frem­den Ar­bei­tern von weit drun­ten zu heim­li­cher Lieb­schaft.“.

Zwi­schen 1911 und 1914 be­gan­nen auf Hal­lig Hoo­ge die Ar­bei­ten zur Küsten­be­fes­ti­gung. Als ers­te Hal­lig er­hielt sie ne­ben dem Stein­deck­werk auch ei­nen klei­nen Som­mer­deich, der sie vor ei­ner Über­flu­tung bei den leich­te­ren som­mer­li­chen Sturm­flu­ten schützen soll­te. Auf gut elf Ki­lo­me­tern Län­ge um­schließt die­ser Deich die 570 Hekt­ar Hal­lig­land. Durch ein­ge­bau­te Sie­le kann das Was­ser nach ei­nem 'Land­un­ter' ab­lau­fen. Das Le­ben auf den Warf­ten war ein Stück si­che­rer ge­wor­den. Zer­stö­re­ri­sche Flu­ten zei­gen aber im­mer wie­der, dass dem 'Blan­ken Han­s' nicht über die Woge zu trau­en ist. Küsten­schutz ist ein Dau­er­the­ma im nord­frie­si­schen Wat­ten­meer. Der ge­dank­li­che An­satz hat sich heu­te von ei­ner rei­nen Land­ge­win­nung hin zum scho­nen­den Er­halt ei­ner welt­weit ein­ma­li­gen Na­tur­land­schaft ge­wan­delt.
Das frie­si­sche Erbe, des­sen Un­ter­gang Lob­si­ens Pas­to­ren noch um 1900 als bö­sen Meer­geist über die Wat­ten her­an­na­hen sa­hen, hat sich er­hal­ten. Nicht zu­letzt die 'Frem­den' ha­ben ih­ren Teil dazu bei­ge­tra­gen, Ta­ges­gäs­te und Ur­lau­ber, die die Ei­gen­ar­ten die­ses Le­bens mit­ten im Meer zu schät­zen wis­sen - al­len vor­an die frühen Gast­ar­bei­ter am Deich. Das alte Mel­de­buch der Hal­lig Hoo­ge ver­zeich­net am 18.05.1914 das Ein­tref­fen des Stein­set­zers Gio­van­ni Dell Mis­sier. Mit ei­ner Lan­gen­es­se­rin hat er auf Hoo­ge eine gro­ße Fa­mi­lie ge­gründet. Sei­ne Ur­en­ke­lin­nen tra­gen heu­te bei Ver­an­stal­tun­gen der Hoo­ger Trach­ten­grup­pe stolz die alte Hal­lig­tracht.

 
Renée Oet­ting-Jes­sel